Falschinformationen durch das Land Berlin und einzelne Leitungen der Bibliotheken – Bitte beachtet Eure Rechte im Streik

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

es kursieren leider Falschauskünfte einzelner Leitungskräfte und des Landes Berlin in Sachen Ausstempeln, Zeiterfassung und „Meldung“ zum Streik.

 

Kurz zusammengefasst:

1)    Ihr müsst Euch nicht ausstempeln und auch nicht sagen, dass ihr streiken geht. Jeder Bürger dieses Landes darf sich noch am Streiktag zum Streik entscheiden (Grundgesetz!). Werdet ihr vorher gefragt, sagt einfach gar nichts oder wenn ihr euch wohler fühlt damit, dass ihr das noch nicht entschieden habt.

2)    Bei händisch ausgefüllten Zeiterfassungsbögen im Nachhinein die Streikzeit als Streikzeit gekennzeichnet werden.

3)    Der Arbeitgeber kann im Nachhinein extra auffordern, die Streikzeiten zu melden – also nach dem Streik. Dann muss der/ die Streikende es ihm sagen. Ein vorauseilender Gehorsam über die Zeiterfassungsbögen vorab ist unserer Rechtsauffassung nach nicht notwendig.

 

Schließlich ist Streik auch Arbeitsniederlegung und sollte auch Druck erzeugen.

 

Anbei ausführlich für Eure Vorgesetzten, sollten Sie diese Auskünfte nicht ernst nehmen:

 

„Ausstempeln“ und Abmelden (https://www.verdi.de/++file++5073a205deb5011af90017b0/download/streikrecht_a_bis_z.pdf)

 

  1. Oft behaupten Arbeitgeber, Arbeitnehmer seien vor Beteiligung an einem gewerkschaftlichen (Warn-)Streik verpflichtet,

 

  1. a) sich beim Vorgesetzten abzumelden,
  2. b) durch Eintragung in eine Liste ihre Streikbeteiligung bzw. Streikbereitschaft zu dokumentieren oder
  3. c) elektronische Zeiterfassungsgeräte zu bedienen („Ausstempeln“).

 

  1. Derartige Pflichten bestehen nach hier vertretener Auffassung nicht. Es ist einhellige Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass auch eine konkludente Erklärung der Streikbeteiligung ausreicht, um die Arbeitspflicht zu suspendieren (BAG 31.5.88, DB 88, 2260; 15.1.91, 7.4.92; 26.7.05 AP Nrn. 114, 123, 170 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). An die äußere Form und den Nachweis des Zugangs der Erklärung dürfen keine praxisfremden Anforderungen gestellt werden. Der Arbeitgeber kann im Regelfall davon ausgehen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nach einem gewerkschaftlichen Streikaufruf nicht zur Arbeit erscheinen oder die bereits begonnene Arbeit abbrechen, von ihrem Streikrecht Gebrauch machen und damit ihre Arbeitspflicht suspendieren (BAG 26.7.05, a.a.O.; 7.4.92, a.a.O.; ErfK-Dieterich, Art. 9 GG Rn. 172; Otto, § 14 Rn. 5).

 

  1. Die mit der Streikbeteiligung verbundene Suspendierung der Arbeitspflichten erstreckt sich auch auf diejenigen Nebenpflichten, die mit der Erbringung der Arbeitspflicht in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen (Kissel, § 46 Rn. 4) und/oder deren Einhaltung mit der effektiven Ausübung des individuellen Streikrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht vereinbar ist (ArbG Braunschweig 12.4.89, AuR 90, 25; Kittner/Zwanziger/Deinert-Deinert, § 136 Rn. 43).

 

  1. Soweit in einem bestreikten Betrieb wirksame Regelungen über Verhaltens-und Abmeldepflichten der Arbeitnehmer beim Verlassen des Arbeitsplatzes oder des Betriebes bestehen (Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bzw. Personalrats?), gelten diese nicht für den Fall der Streikbeteiligung. Dieser wird im Normalfall von den betrieblichen Regelungen nicht erfasst und liegt auch außerhalb der Regelungsbefugnis der Betriebsparteien.

 

  1. Unabhängig davon werden derartige Verhaltens- und Abmeldepflichten durch die Erklärung der Streikbeteiligung als arbeitsvertragliche Nebenpflicht suspendiert:

 

  1. Die Verpflichtung zur schriftlichen oder ausdrücklichen mündlichen Abmeldung beim Vorgesetzten ist mit der effektiven Ausübung des individuellen Streikrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht vereinbar, da sie die Realisierung der Streikbeteiligung durch die Erzeugung zusätzlichen psychischen Drucks behindert (so im Ergebnis auch ArbG Braunschweig 12.4.89, AuR 90, 25).
  2. Die Verpflichtung zur Eintragung in Listen streikwilliger bzw. streikbeteiligter Arbeitnehmer vor dem Streik stellt eine Behinderung der Ausübung des individuellen Streikrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG dar. Arbeitnehmer sind nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber gegenüber ihre Streikbeteiligung vor Streikbeginn anzukündigen; sie können ihre Absicht bezüglich der Beteiligung an einem bevorstehenden Streik dem Arbeitgeber gegenüber verschweigen (BAG 12.11.96, NZA 97, 393). Eine derartige Verpflichtung würde auch das Recht der streikführenden Gewerkschaft beeinträchtigen, im Rahmen der freien Wahl der Kampfmittel Streikmaßnahmen nach Beginn und Umfang überra-schend und ohne Vorankündigung für den Arbeitgeber durchzuführen (LAG Köln 29.10.98, AuR 99, 118; LAG Niedersachsen 1.2.80, AP Nr. 69 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Kissel, § 42 Rn. 15; Otto, § 8, Rn. 2 ff.).
  3. Die Verpflichtung zur Bedienung der elektronischen Zeiterfassung bei Verlassen und Betreten des Betriebs vor bzw. nach dem Streik ist durch die konkludente Erklärung der Streikbeteiligung als Nebenpflicht suspendiert. Die gegenteilige Auffassung des LAG Hamm (Urteil 25.5.93 – 4 Sa 11/93 – ) und des ArbG Herford 30.10.03, DB 03, 2494 ist nicht überzeugend, da sie unterstellt, der Arbeitgeber könne auch während des Streiks sein Direktions-recht zumindest partiell ausüben und das Verhalten der Arbeitnehmer im zeitlichen Zusammenhang mit Streikbeginn und Streikbeendigung reglementieren. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers ist aber wegen der Suspendierung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers während des Streiks gerade un-beachtlich (ArbG Braunschweig, a.a.O.).

 

  1. Hinzu kommt, dass das zulässige Abmelden über die elektronische Zeiterfassung außerhalb der (oder bei Fehlen einer) Kernarbeitszeit die Arbeitspflicht beendet, mit der Konsequenz, dass der Arbeitnehmer sich anschließend nicht im Streik (= Vorenthaltung der Arbeitskraft), sondern in seiner Freizeit befindet (BAG 26.7.05, a.a.O.). In einer derartigen Konstellation ist es dem Arbeitgeber im Übrigen verwehrt, wegen der „Streikbeteiligung“ in der Freizeit eine Entgeltkürzung vorzunehmen (BAG 26.7.05, a.a.O.).

 

  1. Soweit in Betriebs- oder Dienstvereinbarungen zur elektronischen Zeiterfassung und flexibler Arbeitszeitsystemen An- und Abmeldepflichten geregelt sind, wird deren Auslegung in der Regel ergeben, dass die dort geregelten Verpflichtungen zur Bedienung der elektronischen Zeiterfassung sich nicht auf Abwesenheitszeiten aus Anlass eines Streiks beziehen (so auch Buschmann, AuR 1995, 38, 40). Die Regelungsbefugnis der Betriebsparteien erstreckt sich nach zutreffender (aber umstrittener) Auffassung nicht auf das Arbeitskampfgeschehen und das Verhalten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Streik (LAG Frankfurt/M. 3.10.84, DB 86, 178; Buschmann, AuR 95, 38, 40). Das BAG hält dies allerdings grundsätzlich für zulässig (BAG 30.8.94, AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = AiB 95, 136 mit Anmerkung Mayer).

 

  1. Während und nach einem Streik bleibt es dem Arbeitgeber unbenommen, die Abwesenheitszeiten streikender Arbeitnehmer zu Abrechnungszwecken zu kontrollieren und zu erfassen. Nach Streikende kann der Arbeitgeber im Bedarfsfall vom Arbeitnehmer zu Abrechnungszwecken eine Klarstellung seiner Streikbeteiligung und des zeitlichen Umfangs der Streikbeteiligung verlangen.

 

Bitte streut diese Information.

 

Eure Jana für den Kampagnenrat

 

Weitere Infos zum Download (PDF):